Borneo

Früher ein Lebensraum für Piraten und Kopfjäger, heute ein Paradies für Naturfreunde. Ich wurde davor gewarnt. Giftige Schlangen, Dauerschwitzen bei schwülheißen Temperaturen und Reisessen satt. Doch das hält mich nicht von meinem Traum ab, den letzten Menschenaffen im Regenwald von Borneo zu begegnen, den Orang Utans. Auch Nasenaffen und Schlangen stehen ganz oben auf meiner Fotowunschliste. Borneo, ich komme!

Meine Reise führt mich in den malayischen Teil im Norden Borneos von Kuching im Westen bis weit in den Nordosten auf die Halbinsel Sandakan. Dort zieht sich ein weit verzweigtes Labyrinth von Wasserstraßen durch den Dschungel. Kaum gelandet und das Gepäck verstaut fahre ich mit dem öffentlichen Bus ins Semmenggoh Orang Utan Rehabilitations Center. Dieses bietet mit viel Glück und Geduld eine sehr gute Möglichkeit, Orang Utans aus der Nähe zu beobachten. Das Gebiet ist sehr weitläufig und die Menschenaffen kommen nur dann zum Futterplatz, wenn sie hungrig sind oder gerade nichts anderes zu tun und Lust auf den Anblick von Touristen haben. Ist das Nahrungsangebot in der Wildnis reichhaltig, streifen sie lieber durch den Dschungel und die Besucher müssen das Center nach nur 90 Minuten unverrichteter Dinge verlassen.

Ich habe reichlich Glück und lerne gleich bei der ersten Begegnung mit meinen tierischen Verwandten den Chef der Gruppe kennen: Ritchie. Mit seinen 150 cm Körpergröße, seinen 150 kg Lebendgewicht und einer Arm-Spannweite von 240 cm bin ich froh, dass ich auf eine Umarmung von ihm verzichten darf.

Ritchie ist maximal entspannt. Unterdessen kämpfe ich mit den Widrigkeiten der schlechten Lichtverhältnisse vor Ort: Hohe Bäume, viel Schatten, dunkles Fell. Die großen Wangenwülste bei einem älteren Männchen sind sehr ausgeprägt, die Augen liegen in tiefen Augenhöhlen. Ich muss mich sehr anstrengen, um Ritchies sanfte Augen aufs Foto zu bekommen. Ritchie und seine Gruppe besuche ich in den nächsten Tagen immer wieder. Ich bin fasziniert von dem sanften Wesen der Urwaldbewohner mit dem langen Zottelfell. Ihre Ruhe ist ansteckend. Später sehe ich auch freilebende Orang Utans in den hohen Baumwipfeln, jedoch ohne eine Chance auf gute Bilder.

Es gibt im wasserreichen Dschungel Borneos noch so viel mehr zu entdecken. Manch ein Reisender würde gerne darauf verzichten. Dazu gehören giftige Vipern, die auf der Veranda und auf den Wegen dösen, Baumschlangen in den Blumenkübeln und giftige Tausendfüßler im offenen Restaurant. Ein Eldorado für jeden Reptilienfreund.

Viele Tiere in Borneo sind nachtaktiv, Meister der Tarnung und ich entdecke sie erst auf den zweiten Blick. Nachts im Dschungel unterwegs zu sein ist extrem spannend, begleitet vom Sound of Nature. Millionen Stimmen erheben sich zu einem gigantischen Konzert.

Mit Einbruch der Dunkelheit verlassen 2-3 Millionen Fledermäuse die riesigen Höhlensysteme im Mulu NP und begeben sich auf Nahrungssuche. Ein lebendiges, schier endloses schwarzes Band durchzieht im Mondschein den nächtlichen Himmel. Ein gigantisches Schauspiel, das nur bei Nichtregen stattfindet.

Aber auch das Leben der Menschen hat mich in seinen Bann gezogen. Viele von ihnen leben vom Fischfang. Die Arbeit ist hart. Tagtäglich fahren sie mit ihren uralten, oft vom Rost zerfressenen Seelenverkäufern hinauf aufs Meer. Der anschließende Verkauf auf dem Fischmarkt ist eine feuchtglitschige Angelegenheit. Dabei üben sich die Fischer beim Kistenweitwurf. Der Tagesfang wird auf große Haufen gekippt und sortiert.

Danach wird der Fisch versteigert. Nach getaner Arbeit wird sich ein Nickerchen vor Ort gegönnt. Ein Schlafplatz der besonderen Art. Ganz gleich, ob ich morgens oder abends die Fischhallen aufsuche, es ist ein nicht endender Zyklus von rausfahren, fangen, transportieren, sortieren, verkaufen. Und das ein Leben lang.

Doch Borneo hat neben den einmaligen Naturschätzen und seinen freundlichen Menschen auch eine dunkle Seite: die systematische Vernichtung des Regenwaldes durch den kommerziellen Anbau von riesigen Ölpalmplantagen. Der Lebensraum der Tiere schwindet von Tag zu Tag. Weite Gebiete wurden bereits zerstört. Bleibt die Hoffnung, dass es für eine Rettung nicht schon zu spät ist.

BorneoHerzog
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