Kamtschatka

Im einsamen Nordosten von Russland liegt die 1200 km lange Halbinsel Kamtschatka aus Feuer und Eis, ein UNESCO Weltnaturerbe. Unberührte Natur, rauchende Vulkane, wilde Tiere. Nirgendwo lassen sich eruptive Naturkräfte so intensiv erleben wie hier. 179 Vulkane, 29 davon aktiv. Der höchste misst 4750 m. Sie tragen Namen wie z.B. Tolbachik, Mutnowskij, Kliuchevskoi.

Ein überwältigendes Geschichtsbuch der Erde, ein großes Abenteuer. Für einen Hobbyfotografen Grund genug, sich diesem Abenteuer zu stellen. Das fängt mit der Bereitschaft zu absolutem Komfortverzicht an bis hin zur Akzeptanz von riesigen Moskitoschwärmen. Die Unterbringung in einfachsten Holzhütten und kleinen Zelten mit dünnen Schlafmatten ist dem Umstand geschuldet, dass es da draußen in der weiten Wildnis Kamtschatkas keine anderen Schlafmöglichkeiten gibt.

Doch ein Erlebnis der besonderen Art hat derjenige, der ab Einbruch der Dunkelheit die Bio-Toilette aufsuchen muss.

Nirgendwo ein Lichtschein. Taschenlampe und Klopapier sind mitzubringen. Die Tür ist nicht verschließbar. Dass man von Mitmenschen besucht wird, ist noch das geringste Problem, kritischer ist ein Bärenbesuch. Das alles lässt hin und wieder die Frage aufkommen, warum man sich das antut.

Vor allem bei Wetterüberraschungen wie plötzlichen Regengüssen oder einem Kälteeinbruch kommt der luxusverwöhnte Mitteleuropäer schnell an seine Grenzen. Waschen unter freiem Himmel mit eiskaltem Wasser aus Schläuchen? In solchen Momenten fällt es leicht, sich für das Minimalprinzip zu entscheiden. 

Das sehen die Braunbären in Kamtschatka anders. Hoch motoviert und umgeben von Millionen von Blutsaugern stürzen sich die Bären im Juli bei der Jagd auf die roten Lachse in die eiskalten Fluten im steinigen Flussbett. Bevor der raue Winter zurückkehrt, müssen sie und ihre Kinder Fettreserven aufbauen. In diesen Zeiten des Überflusses sind die pelzigen Kolosse wahre Feinschmecker. Zuerst häuten sie ihren Fang, danach genießen sie das zarte rosa Lachsfilet. 

Wir sind dankbar, diesem Schauspiel beiwohnen zu können, auch wenn die Stechmücken unsere Geduld sehr strapazieren.

Um in den Lebensraum der Bären im Gebiet des Dvukhyurtochnoye See vorzudringen, bedarf es einiger Anstrengungen. Es ist weit weg von jeglicher Behausung und nur mit dem Helikopter zu erreichen.

Begleitet werden wir von bewaffneten Rangern. Wir fragen uns „Ist das Ernst?“ Als ein Bär im schnellen Tempo Kurs auf unsere kleine Gruppe nimmt, sind die Gewehre im Anschlag. Das Gesicht des anführenden Rangers ist hoch konzentriert und ohne Regung. Uns  Zivilisationsgeschädigten bleibt vor Schreck die Luft weg. Weniger als 20 m vor dem Ranger dreht der Bär ab. Wir sind erleichtert, dass er die Nerven bewahrt hat. Ein toter Bär wäre eine schreckliche Urlaubsbilanz gewesen. 

Auch wenn der Kamtschatka-Bär hier der König unter den Tieren ist, so sind Begegnungen mit anderen tierischen Bewohnern nicht weniger interessant. Besonders faszinierend sind die gefährdeten Riesenseeadler mit ihrem extrem kräftigen Schnabel sowie die kleinen, seltenen Gelbschopf-Lunde, eine Papageientaucherart. Beide Arten leben vor der Küste von Kamschatka, direkt vor sich den reich gedeckten Tisch des Pazifischen Ozeans.

Dahingegen sind die niedlichen Ziesel, die wir oben an den Vulkanen antreffen, weniger gut versorgt. Sie haben in der Lavaasche ihre Höhlen und leben vom kargen Angebot der Natur und gelegentlich auch von einem Stückchen Brot der Touristen. Trotz ihres Hungers nähern sich die Ziesel den menschlichen Futterspendern sehr vorsichtig. Bei Gefahr verschwinden sie blitzschnell in der Vulkanasche.

Trotz der harten Reisebedingungen hat uns die Halbinsel Kamtschatka magisch in ihren Bann gezogen und tief in unserem Inneren berührt. Mit Wehmut schauen wir zurück zu diesem entlegensten Außenposten im fernen Osten Russlands. Es bleibt die Hoffnung, eines Tages noch einmal dorthin zurück zu kehren. Dann hoffentlich mit deutlich besserem Reisewetter für unsere Bilder.    

KamtschatkaHerzog
  • 1
  • 1.8 K
Copy Protected by Chetan's WP-Copyprotect.