Naturvölker

Wenn sich Kulturen begegnen, wird es oft spannend: Wir sind auf den Hochebenen am Empakai Krater unterwegs, als uns unser Guide Amani fragt, ob wir am nächsten Tag die Buschleute besuchen möchten. Diese leben in einem kleinen Familienverband von rund 15 Erwachsenen mit ihren Kindern mitten in der Wildnis fernab jeglicher Zivilisation. Am nächsten Morgen brechen wir auf. Zuerst holen wir unseren Dolmetscher ab. Einen „halben Meter“ von geschätzten 55 kg Lebendgewicht in einer modernen Jeans, einem Sportshirt und einer Sonnenbrille. Er soll die Verständigung sicherstellen. Auf unsere Frage, ob er früher bei den Buschleuten gelebt hat, wehrt er energisch ab.

Eine Stunde später begreifen wir den Grund für seine Abwehrhaltung. Sie leben als Nomaden ohne richtige Hütten und schlafen bei Wind und Wetter auf der Erde. Die Männer auf einer Tierhaut, die Frauen und Kinder auf dem kahlen Boden. Kein Wasser, kein Strom, nichts. Sie besitzen kein Vieh, niemand kann lesen und schreiben. Selbst heute besuchen die Kinder keine Schule und das Feuermachen funktioniert nur im Handbetrieb nach der Steinzeitmethode. Gegessen wird, was mit Pfeil und Bogen erlegt wird, wenn überhaupt etwas erlegt wird. Zuerst dürfen die Männer die besten Stücke essen, den Rest bekommen die Frauen und Kinder, sofern die Männer etwas übrig lassen. Innerhalb kürzester Zeit bekommen wir so einen kleinen Einblick in das Leben dieser kleinen Gemeinschaft.

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Als sie uns fragen, ob wir mit auf die Jagd kommen möchten, schauen wir uns irritiert an. Da wir festes Schuhwerk tragen, sehen wir keinen Grund abzulehnen. Es ist unglaublich, wie flink und leichtfüßig sich die Männer barfuß oder mit Autoreifensandalen durch das Dornengestrüpp bewegen.

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Bei dem rasanten Tempo bleiben wir mit unseren Trekkingschuhen ständig an Wurzeln und Steinen hängen. Es ist Mittagszeit und es herrschen über 30 Grad. Während wir mit hochrotem Kopf den Kampf mit der Natur aufnehmen, sind die Buschmänner schon 100 Meter weiter und versuchen mit ihren Pfeilen, Vögel zu erlegen (knapp daneben ist leider auch vorbei). Zwischendurch graben sie mit einem Stock und ihren Händen irgendwelche Wurzeln aus und verzehren diese im rohen Zustand. Wir nehmen eine Kostprobe. Sie schmecken nach nichts und sind sehr holzig. Wir stecken einige der angebotenen Wurzeln für die Buschfrauen ein, denn die Männer denken nur an sich. Uns missfallen diese, nach unseren Gesellschaftsnormen egoistischen Züge sehr.

Nach einer Stunde kommen wir an ein breites, versandetes Flussbett. An zwei Stellen klaffen 2 große Löcher. An deren Grund sammelt sich graubraunes Grundwasser. Einer der Buschmänner legt sich auf den Bauch und schiebt seinen Oberkörper Richtung Wasser hinab, um dieses direkt zu trinken. Auch uns wird davon etwas angeboten. Unser kleiner Dolmetscher versucht ihnen zu erklären, dass wir von dem Wasser krank werden würden. Wir blicken in verständnislose Gesichter. Im Gegenzug holen wir unsere Plastikwasserflaschen aus dem Rucksack hervor.

Als nächstes wird unter einem großen, schattenspendenden Baum eine Pause eingelegt. Wir verwöhnten Mitteleuropäer sind dankbar dafür. Einer der Naturburschen zaubert noch 2 dicke Wurzeln hervor, zündet mit den Händen ein Feuer an und wälzt die Wurzeln darin. Anschließend werden sie geschält.

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Nachdem sie alle Wurzeln gegessen haben, fragen wir provokativ in die Runde, wo denn der Anteil für die Frauen und Kinder seien. Teilnahmslose Blicke. Eine andere Welt. Wir genießen den schattigen Aufenthalt unter der weit ausladenden Baumkrone und beobachten, wie die Männer damit beginnen, irgendein Kraut zu rauchen. Kurze Zeit später verändert sich ihr Blick, die Augen sind blutunterlaufen. Uns schwant nichts Gutes. Sicherlich Bio, sicherlich Natur. Sicherlich ein Rauschmittel.

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Auf dem Rückweg sammelt unsere Gesichtshaut noch Erfahrungen mit einer speziellen Art von Akazie. Diese hat Dornen mit Widerhaken. Selbstbefreiung ist zwecklos, Hilfe ist zielführender. Lädiert erreichen wir den Rest der Buschfamilie. Überleben in der Natur will gelernt sein!

Die Frauen nehmen uns dankbar die Wurzeln ab und lassen diese
schnell verschwinden. Gemütlich hocken wir noch etwas zusammen. Wir dürfen den Männern Fragen stellen. Unser halber Meter Dolmetscher übersetzt eifrig. Wir fragen die Männer, ob sie denn auch an uns Fragen haben. Und dann kommt es: Ob denn in Deutschland (wo immer das liegt) die Dikdik-Jagd (kleinste Antilopenart) auch so schwierig sei wie hier. Wir schauen uns verdutzt an. Damit haben wir nicht gerechnet. Guter Rat ist jetzt notwendig. Wir antworten, dass wir unsere Tiere nicht selbst fangen müssen, wir lassen jagen. Den Part mit den Supermärkten und Kühltruhen lassen wir weg. Die Männer sind sichtlich beeindruckt. Ein ungewöhnlicher Tag inmitten der Natur neigt sich seinem Ende und wir sind uns einig, dass diese Begegnung für uns die ursprünglichste ist. Selbst viele der jungen Massai verfügen heute über ein neues Handy, wissen, wie man einen  Jeep oder eine Enduro fährt und kennen den Vorteil von Schulbildung, auch wenn sie noch immer ihre traditionelle Kleidung tragen, mit dem Speer jagen und sich nur von der Natur ernähren. Hier bei den Buschleuten trifft Tradition noch nicht auf Moderne.

NaturvölkerHerzog
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